Von Ego zu Eco

Echte Nachhaltigkeit geht über technische Innovation hinaus

Das Thema Nachhaltigkeit ist endlich in Politik und Wirtschaft angekommen. Wir sehen überall Initiativen zur Reduktion der CO2 Emissionen und eine Vielzahl von technischen Innovationen und Erfindungen. Viele Staaten und Unternehmen setzen sich anspruchsvolle Zeitrahmen, bis wann sie klimaneutral sein wollen.

All das ist wichtig, richtig und unabdingbar für eine Klimawende. Es geht aber an der wirklichen, tieferen Herausforderung unserer Zeit vorbei: Unsere vorherrschende Weltanschauung, unsere gesellschaftlichen Organisationen und Systeme in Wirtschaft, Politik, Landwirtschaft, Medizin, Ausbildung und Erziehung bauen allesamt auf Grundannahmen auf, die überholt sind.

Mangel ist das Grundaxiom unseres Wirtschaftssystems (1). Es gibt von allem nicht genug, mehr ist besser als weniger, Wachstum unabdingbar. Eine Reduzierung des Wachstums wird mit Verzicht assoziiert.

Natur wird als Ressource betrachtet, der aber in ihrer unbearbeiteten Form kein Wert zukommt. Erst wenn der Mensch nach ihr greift, sie sich aneignet und bearbeitet, wird sie von der Ressource zur Ware mit einem Wert und Preis.

Der Mensch wird als Arbeitskraft ebenfalls zur Ware, zu einem Objekt (Human Ressource) mit Preis. Das Bestreben des Menschen in diesem System ist, seinen Wert zu erhalten und zu erhöhen; dazu dienen Erziehung, Schule, Ausbildung und Medizin. Für einige bedeutet das ein fortwährendes Bestreben nach Selbstoptimierung und Erhöhung des eigenen Status‘ durch damit assoziierte Produkte und Verhaltensweisen.

Dahinter liegt ein noch tieferes Paradigma: der Mensch als Einzelwesen, das der Welt und Natur in ihrer Vielfalt wahrnehmend, denkend und handelnd gegenübertritt. Diese, über Jahrhunderte entwickelte, damals revolutionäre Sichtweise, war die Voraussetzung für die Errungenschaften von Individuation und Wissenschaft, wie wir sie heute kennen. Doch war sie nie eine Tatsache, sondern eine bestimmte, neue Perspektive, mit Betonung eines spezifischen Aspektes unseres Menschseins. Diese einseitige Verengung wirkt heute destruktiv und stößt an ihre Grenzen.

Dass wir in den westlichen Ländern zu viel haben und nicht zu wenig, machen allein schon die Müllberge deutlich, die wir täglich erzeugen; oder es genügt ein Blick in unsere Speicher, die überquellen. Auch global gibt es mehr als genug Lebensmittel, um alle Menschen satt zu bekommen, und das trotz enormer Verschwendung von Lebensmitteln und landwirtschaftlichen Ressourcen u.a. für die übersteigerte Milch- und Fleischerzeugung. Wenn wir im Bewusstsein der Fülle in die Welt schauen, erkennen wir darüber hinaus einen inneren und äußeren Reichtum, für den wir in unserer modernen, gestressten Weltsicht keinen Blick haben.

Angesichts der menschengemachten Veränderungen und Katastrophen, die auf uns zukommen und schon überall sichtbar sind, ändert sich bei vielen Menschen auch der Blick auf die Natur. Mehr von uns blicken wieder mit Liebe und Dankbarkeit auf die natürliche Schönheit und Lebendigkeit um uns herum, freuen sich an dem Fuchs, der auch in der Großstadt durch den Garten schnürt. Mehr von uns begreifen, dass all das Größer ist als der Mensch und seine Zivilisation, dass Natur nicht „Umwelt“ ist, sondern dass wir Teil sind von Natur, Teil der Erde als Ganzes. In dieser Verfassung spüren wir Verletzungen der Integrität der Natur als Schmerz in unserem eigenen Herzen.

Es gab schon immer Unternehmer:innen und Führungskräfte, die verstanden haben, ihre Mitarbeiter:innen trotz aller Zwänge und Anforderungen primär als Menschen zu sehen und anzusprechen. Wenn wir uns „von Mensch zu Mensch“ begegnen, sind wir auf Augenhöhe, wir achten und respektieren den Anderen und seine Bedürfnisse, wir sehen in ihm uns selbst. Dies schafft Verbindung und Vertrauen, Qualitäten die uns nicht nur ermutigen und motivieren, sondern auch innerlich ausgleichen. Dies ist die Grundhaltung, wie wir bei u.emerge Zusammenarbeit verstehen und die auch der Theorie U (2) zugrunde liegt.

In einem Raum des Vertrauens können wir erfahren und erkennen, dass wir im Kern soziale Wesen sind. Als soziale Wesen schaffen wir unsere Wirklichkeit. In Co-Kreation lassen wir Zukunft aus dem sozialen Feld emergieren, setzen Kreativität frei, statt angstgetrieben (3) Ergebnisse hervorzubringen, die keiner will, wie Hunger, Verschwendung, Armut, Gewalt, Krieg, Zerstörung und Traumatisierung.

Dieser hier dargestellt Paradigmenwechsel wird gestützt nicht nur von fast allen spirituellen Traditionen und indigenen Kulturen, sondern auch von einer Vielzahl wissenschaftlicher Ergebnisse der letzten vier Jahrzehnte, von Quantenphysik (4) über Kognitionsforschung (5), Pädagogik und Lerntheorie (6), Systemtheorie (7), Neurophysiologie (8), zu soziologischer Aktionsforschung (2), Traumaforschung und –therapie (9).

Es gibt einen reichen Fundus von guten und erprobten Werkzeugen und Methoden, diese neuen Haltungen zu verdeutlichen, zu erfahren und in Teams, Gruppen und Organisationen in den Alltag zu integrieren (10). Es geht heute nicht mehr darum, ob wir unsere Haltungen ändern oder wie wir das angehen können. Es geht darum, diese Transformation auf persönlicher, organisatorischer und gesellschaftlicher Ebene zuzulassen und zu leben sowie die Systeme und Strukturen anzupassen.

Natürlich erscheint es schwierig, einen Prozess anzugehen, der am Anfang so wenig greifbar wirkt, Vielem, was uns normal erscheint, widerspricht und dessen Ergebnis wir nicht kennen. Das ist die Natur jedes grundlegenden Wandels.

Doch gibt es etwas, was für uns lohnender wäre, als für uns und unsere Kinder eine Welt und Gesellschaft zu schaffen, die von Fülle, Freude, Gemeinschaft und Frieden geprägt ist?

Diese Ziele werden mit jedem Schritt lebendiger und konkreter, den wir in diese Richtung gehen.

1) Wikipedia: Die Ökonomie lässt sich Horst Siebert zufolge als die „Kunst des Mangels“ oder die „Lehre von der Knappheit“ interpretieren. Mangel oder Knappheit ist seit der Vertreibung aus dem Paradies der Grundtatbestand menschlicher Existenz.
2) Scharmer, Otto – Theorie U, 2005, Neuauflage 2020
3) Edmondson, Amy C. Die angstfreie Organisation, 2020
4) Rovelli, Carlo – Die Wirklichkeit, die nicht so ist, wie sie scheint, 2016
Currivan, Jude – The Cosmic Hologram, 2017
5) Varela / Thomson / Rosch – The Embodied Mind, 1991 / Neuauflage MIT 2016
6) z.B. Rose / Nicholl – Der Totale Lernerfolg, 1998
7) Luhmann, Niklas – Systemtheorie der Gesellschaft, 2017
8) Porges, Stephen – The Polyvagal Theorie, 2011
9) Maté, Gabor – diverse Bücher zu Trauma, Stress, Sucht, ADS, Missbrauch
Hübl, Thomas – Kollektives Trauma Heilen, 2021
10) siehe z.B. www.presencing.org